25. Februar 2025 | Urheberrecht

Kein Kunstwerk, nur Kultobjekt: BGH verwehrt Birkenstock den Urheberrechtsschutz

beige Birkenstock Schuhe_Sandalen auf weißem Kunstfell auf cremefarbenen Wollteppich

Marie Winzek

 

In Deutschland sind Birkenstocks schon seit vielen Jahren beliebt – spätestens seit ihrem Auftritt im 2023 erschienenen Kinofilm „Barbie“ haben sie sich auch weltweit als Trendsandale etabliert. Für die Hersteller ein guter Moment, sich nach dem Designschutz der Sandalen auch darauf zu berufen, dass sie ein Werk der angewandten Kunst und daher urheberrechtlich geschützt seien. Nicht nur der längere, automatisch greifende Schutz des Urheberrechts ist gegenüber dem „Registerrecht“ des Designs ein Vorteil. Das Urheberrecht bietet auch umfassendere Durchsetzungsmöglichkeiten gegen Plagiate – ein Aspekt, der insbesondere für ein boomendes Unternehmen interessant ist. Doch das ist für den Sandalenhersteller jetzt Schall und Rauch. Die Richter:innen des ersten Zivilsenats am Bundesgerichtshof sind sich einig: Kult ja, (urheberrechtlich geschützte) Kunst nein.

 

Kein Urheberrechtsschutz für Birkenstock-Sandalen

Am 20. Februar 2025 entschied der erste Zivilsenat des BGH, dass die Sandalenmodelle „Madrid“, „Arizona“ und „Gizeh“ des Herstellers Birkenstock keine Werke der angewandten Kunst im Sinne des Urheberrechts und somit nicht urheberrechtlich geschützt sind (Aktenzeichen I ZR 16/24, I ZR 17/24; I ZR 18/24).

Im vorliegenden Fall klagte der in Linz am Rhein, Rheinland-Pfalz, ansässige Hersteller gegen drei Wettbewerber, die vergleichbare Sandalenmodelle produzierten und vertrieben. Birkenstock argumentierte, dass seine Sandalendesigns als Werke der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützt seien und die Produkte der Konkurrenz diesen Schutz verletzten.

Daher verlangte Birkenstock unter anderem, dass die Wettbewerber ihre Sandalen vom Markt nehmen, den Verkauf einstellen und bereits existierende Modelle vernichten. Zudem forderte das Unternehmen Schadensersatz für die mutmaßliche Rechtsverletzung.

Zuvor hatte auch das Oberlandesgericht Köln den urheberrechtlichen Schutz der Sandalenmodelle versagt (OLG Köln, Urteil vom 26.01.2024, 6 U 86/23; 6 U 85/23; 6 U 89/23). Damit wich es sowohl von der erstinstanzlichen Entscheidung des Landgerichts Köln (LG Köln, Urteil vom 11.05.2023, 14 O 39/22; 14 O 41/22; 14 O 121/22) als auch von einem früheren Beschluss des Oberlandesgerichts Hamburg in einem einstweiligen Verfügungsverfahren zum Modell „Madrid“ (OLG Hamburg, Beschluss vom 14.10.2021, 5 W 40/21) ab. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Sandalen nicht die Anforderungen erfüllten, die der Europäische Gerichtshof und der Bundesgerichtshof an ein urheberrechtlich geschütztes Werk stellen.

 

Gebrauchsgegenstände können urheberrechtlich geschützt sein

Seit Jahrzehnten ist anerkannt, dass Gebrauchsgegenstände als Werke der angewandten Kunst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG vom Urheberrechtsschutz erfasst sein können.

Im Gegensatz zu Werken der reinen Kunst sind Werke der angewandten Kunst geeignet, einem Gebrauchszweck zu dienen. Alltagsgegenstände weisen in der Regel durch den Gebrauchszweck bedingte Gestaltungsmerkmale auf. Deshalb stellt sich bei ihnen in besonderem Maße die Frage, ob sie über ihre von der Funktion vorgegebene Form hinaus künstlerisch gestaltet sind und diese Gestaltung eine Gestaltungshöhe erreicht, die Urheberrechtsschutz rechtfertigt.

Alltägliche Gebrauchsgegenstände können als Werke der angewandten Kunst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG dann urheberrechtlich geschützt sein, wenn sie nach § 2 II UrhG eine persönliche geistige Schöpfung darstellen. Eine persönliche geistige Schöpfung ist eine Schöpfung individueller Prägung, deren ästhetischer Gehalt einen solchen Grad erreicht hat, dass nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise von einer „künstlerischen“ Leistung gesprochen werden kann. Diese Definition ist in Einklang mit dem unionsrechtlichen Begriff des urheberrechtlich geschützten Werkes im Sinne der InfoSoc-Richtlinie (Richtlinie 2001/29/EG), der durch die Rechtsprechung des Europäische Gerichtshofs (EuGH) geprägt wurde.

Dreh- und Angelpunkt für den Urheberschutz ist das Erreichen der erforderlichen Schöpfungshöhe. Für Gebrauchsgegenstände ist entscheidend, ob der neben den notwendigen funktionalen Charakteristika des Objekts vorhandene Gestaltungsspielraum künstlerisch ausgenutzt wurde. Für den urheberrechtlichen Schutz eines Werks der angewandten Kunst ist – wie für alle anderen Werkarten auch – eine nicht zu geringe Gestaltungshöhe zu fordern. Das rein handwerkliche Schaffen unter Verwendung formaler Gestaltungselemente ist dem Urheberrechtsschutz nicht zugänglich. Für den Urheberrechtsschutz muss vielmehr ein Grad an Gestaltungshöhe erreicht werden, der Individualität erkennen lässt.

 

BGH: Gestaltung von Birkenstocks durch funktionale Elemente bestimmt

Der BGH kam zu  dem Schluss, dass die Birkenstock-Modelle nicht die erforderliche Schöpfungshöhe für einen urheberrechtlichen Schutz aufweisen. Die bestehenden Gestaltungsspielräume seien im Wesentlichen durch technische Anforderungen vorgegeben und ließen keinen ausreichenden kreativen Spielraum erkennen. Die Formgebung der Sandalen sei vorrangig durch orthopädische und funktionale Aspekte mit dem Ziel der Fußgesundheit bestimmt und enthalte keine ausreichend künstlerischen Merkmale.

Bei der Prüfung der Gestaltungshöhe sei entscheidend, dass eine ästhetische Wirkung nur dann urheberrechtlich relevant sei, wenn sie nicht allein durch den Gebrauchszweck bedingt ist, sondern auf einer eigenständigen künstlerischen Leistung beruht. Die bloße Entscheidung zwischen verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten stelle noch keine schöpferische Tätigkeit dar.

Nach Auffassung des Gerichts weisen die charakteristischen Merkmale der Sandalen – insbesondere die Sohle, der Schaft und die Riemenkonstruktion – keine hinreichend eigenständige künstlerische Gestaltung auf. Sie unterscheiden sich nicht in ausreichendem Maße von bereits bekannten Designs und dem allgemeinen gestalterischen Schaffen des Alltags. Eine deutlich erkennbare künstlerische Handschrift sei nicht feststellbar.

 

Die Entwicklung der Rechtsprechung der vergangenen Jahre

Über viele Jahre hinweg setzte der BGH die Hürden für den Urheberrechtsschutz von Gebrauchsgegenständen äußerst hoch an: es musste eine überragende Gestaltungshöhe erreicht werden (BGH, Urteil vom 22.06.1995 – I ZR 119/93 „Silberdistel“).

Ein Wendepunkt zeichnete sich 2013 mit der sogenannten „Geburtstagszug-Entscheidung“ ab (BGH, Urteil vom 13.11.2013 – I ZR 143/12, BGHZ 19, 52). Erstmals wich der BGH von seiner bisherigen strengen Linie ab und entschied, dass die Anforderungen an die Schutzfähigkeit gesenkt werden müssten. Dies führte zu einer anhaltenden Diskussion in Rechtsprechung und Literatur darüber, wie niedrig die Schwelle für den Urheberrechtsschutz tatsächlich anzusetzen sei.

Seither versuchen Hersteller verstärkt, ihre Produkte unter den Schutz des Urheberrechts zu stellen – mit unterschiedlichem Erfolg. Streitfälle betrafen unter anderem das Design des Porsche 911, den Zauberwürfel, Modeartikel, Bierflaschen und sogar Urnen mit Airbrush-Motiven wie einem röhrenden Hirsch. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in den Fällen „Cofemel“ (C-683/17) und „Brompton“ (C-833/18) lieferten dabei Orientierung. Der BGH hat unter anderem dem Hocker, der Liege und dem Tisch der „Barcelona”-Serie von Mies van der Rohe Urheberrechtsschutz zugesprochen (BGH, Urt. v. 5.11.2015 – I ZR 91/11 „Marcel-Breuer-Möbel-II“).

 

Fazit und Ausblick: Was kommt nach „Birkenstock“?

Das Birkenstock-Urteil unterstreicht, dass der urheberrechtliche Schutz von Werken der angewandten Kunst maßgeblich davon abhängt, inwieweit über die technisch bedingten und von der Funktion vorgegebenen Formen hinaus der verbleibende Gestaltungsspielraum kreativ und künstlerisch genutzt wird. Dabei ist eine gewisse Gestaltungshöhe erforderlich, die nicht zu gering ausfallen darf. Wer Urheberrechtsschutz für Gebrauchsgegenstände in Anspruch nehmen will, muss dies darlegen und nachweisen.

 

Der BGH hat im vorliegenden Fall eine Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf den Vorlagebeschluss in Sachen USM Haller (BGH, Vorlagebeschluss vom 21.12.2023, I ZR 96/22) nicht für erforderlich erachtet. Abschließend geklärt ist die Frage der Schöpfungshöhe in Anbetracht der Vorlage eventuell noch nicht: Der BGH will unter anderem vom EuGH wissen, ob bei Werken der angewandten Kunst zwischen dem geschmacksmusterrechtlichen und dem urheberrechtlichen Schutz ein Regel-Ausnahme-Verhältnis dergestalt besteht, dass bei der urheberrechtlichen Prüfung der Originalität dieser Werke höhere Anforderungen an die freien kreativen Entscheidungen des Schöpfers zu stellen sind als bei anderen Werkarten.

Abhängig vom Ausgang dieses Verfahren könnte der BGH seine Rechtsprechung möglicherweise erneut überdenken und anpassen.

 

Foto Credits: Foto von Jakob Owens auf Unsplash