Christina Jugel
Seit kurzem ist er auf Netflix zu sehen: Der kontroverse Kinohit „It Ends With Us“, der von heftigen Rechtsstreitigkeiten der Hauptdarsteller*innen überschattet wird.
Was ist passiert?
Im Dezember 2024 enthüllte die New York Times schwere Vorwürfe von Blake Lively gegen ihren Co-Darsteller Justin Baldoni, unter anderem wegen sexueller Belästigung und Rufschädigung. In ihrem Artikel veröffentlichte die New York Times zahlreiche Screenshots von Nachrichten zwischen Baldoni und seinem PR-Team. Der Wortwechsel soll laut der New York Times zeigen, wie Baldoni und sein PR-Team eine Schmutzkampagne geplant hätten, um Livelys Image zu schädigen.
Klage gegen die New York Times
Gegen den Bericht erhob Justin Baldoni Klage und forderte 250 Millionen US-Dollar Schadensersatz von der New York Times, weil er sich durch den Artikel verleumdet sieht. Später verband er die Verleumdungsklage gegen die New York Times mit einer 400-Millionen-Dollar-Klage gegen Blake Lively, ihren Ehemann Ryan Reynolds und Livelys Publizistin Leslie Sloane.
Baldoni weist Livelys Vorwürfe zurück. Die New York Times habe Livelys „unbelegte und eigennützige“ Behauptungen unkritisch übernommen und in ihrer Berichterstattung entscheidende Informationen ausgelassen, die Livelys Version widersprächen, argumentiert Baldoni. In seiner Klageschrift veröffentlichte er selbst umfassende Nachrichtenverläufe, die den Kontext der von der New York Times gezeigten Auszüge verdeutlichen sollen. Die New York Times verteidigt sich gegen die Klage: Sie habe “akribisch und verantwortungsvoll“ berichtet.
Ob Justin Baldonis Klage im Hinblick auf die Berichterstattung der New York Times Erfolg haben wird, hängt von einer entscheidenden Frage ab: Kann er beweisen, dass die New York Times mit actual malice gehandelt hat? Dafür müsste Baldoni belegen, dass die New York Times wusste, dass Livelys Vorwürfe im Wesentlichen falsch waren, oder sie sich rücksichtslos darüber hinweggesetzt hat.
Presserechtliche Anforderungen an die Verdachtsberichterstattung
Würde der Fall in Deutschland spielen, wäre die Zulässigkeit der Berichterstattung der New York Times an den Maßstäben der Verdachtsberichterstattung zu messen. Denn es handelt sich um einen Bericht über (noch) nicht bewiesene Vorwürfe.
Die Verdachtsberichterstattung unterliegt nach der ständigen Rechtsprechung des BGH strengen Voraussetzungen:
“Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst ‚Öffentlichkeitswert’ verleihen. Die Darstellung darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.”
(BGH, Urteil vom 16.02.2016 – VI ZR 367/15)
Eigene Recherche erforderlich
Für Journalist*innen bedeutetet das, dass sie selbständig überprüfen müssen, ob der von der Rechtsprechung geforderte Mindestbestand an Beweistatsachen tatsächlich gegeben ist. Selbst die Tatsache, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, entbindet die Presse nicht davon, eigene Recherchen über den Wahrheitsgehalt von Vorwürfen anzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 16.02.2016 – VI ZR 367/15). Hintergrund dafür ist, dass die Schwelle für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens recht niedrig liegt: Die Staatsanwaltschaft hat gem. §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO schon bei einem Anfangsverdacht Ermittlungen aufzunehmen. Und ein Anfangsverdacht liegt bereits dann vor, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte nach kriminalistischer Erfahrung die bloße Möglichkeit einer verfolgbaren Straftat besteht.
Gelegenheit zur Stellungnahme
Im Hinblick auf die nach der Rechtsprechung zu gewährende Möglichkeit zur Stellungnahme hat das OLG Frankfurt kürzlich in seinem Beschluss vom 07.11.2024 – 16 W 50/24 betont, dass der Standpunkt des Betroffenen auch tatsächlich in die Berichterstattung einfließen muss.
Justin Baldoni wirft der New York Times in seiner Klage vor, ihm eine Stellungnahmefrist von lediglich 14 Stunden über Nacht gesetzt und den Artikel dennoch zwei Stunden vor Fristende veröffentlicht zu haben. Die New York Times entgegnet, dass ein Mitglied von Baldonis PR-Team die Vorwürfe bereits zwei Stunden nach Aufforderung zur Stellungnahme dementiert habe. Teile dieser Stellungnahme seien im Artikel zitiert und das vollständige Statement verlinkt worden. Zusätzliche Informationen oder mehr Zeit habe niemand gefordert.
Fazit
Ob nun in Deutschland oder in den USA: Die aktuellen Rechtsstreitigkeiten rund um „It Ends With Us“ zeigen, dass journalistische Sorgfalt bei Verdachtsberichterstattungen besonders zu beachten ist. Während die journalistische Sorgfalt in den USA an der Frage gemessen wird, ob Medien subjektiv mit actual malice gehandelt haben, haben sich in Deutschland primär objektive Kriterien herausgebildet: Medien müssen Beweistatsachen sorgfältig prüfen, den Betroffenen ausreichend Möglichkeit zur Stellungnahme geben und dürfen nicht vorverurteilend berichten. Umgekehrt ist ihr Recht auf Presse- und Meinungs- und Medienfreiheit gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Betroffenen angemessen zu berücksichtigen.
Beitragsbild: erstellt mit ChatGPT 4o / Dall-E